In der Stadt oder auf dem Amt kriegst du auch keine Hilfe. Da wirst du runtergemacht, weil du mit einem Brief kommst vom Frauenhaus und dann heißt es: Ihr braucht aber nicht zu denken, dass ihr so schnell eine Wohnung bekommt." "Kleine Wohnungen werden oft an Studierende oder junge Menschen vergeben, bei denen die Eltern für die Miete bürgen. […] Es gibt nur wenige Vermieter*innen, die jungen Erwachsenen aus ‘Heimerziehung‘ eine Chance geben." "Die meisten Vermieter*innen lehnen bereits Hartz-IV Bezieher*innen ab. Wenn dann noch klar wird, dass es sich um eine junge alleinerziehende Frau handelt, gibt es keinerlei Bereitschaft. Vorurteile scheinen hier die größte Herausforderung zu sein." Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten, die in stationären Einrichtungen Hilfe in Anspruch nehmen, haben auf dem Wohnungsmarkt in vielen Fällen keine Chance. Die Studie zum Wohnraumbedarf benachteiligter Gruppen, die die Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen in Auftrag gegeben hat, belegt dies nun eindeutig. 41 Prozent der befragten Einrichtungen gaben an, dass ihre Klient*innen durchschnittlich länger als ein Jahr benötigen, um eine Wohnung zu finden. In dieser Zeit bleiben sie in den stationären Einrichtungen wohnen, sonst würden sie auf der Straße landen. Daraus folgen viele weitere Probleme. Oft sehen sie sich direkt mit Diskriminierung, Ablehnung durch Vermieter*innen oder Behörden konfrontiert. Zudem werden in den Einrichtungen zu finanzierende Plätze belegt, die andere Hilfesuchende dringend benötigen würden. Das Frauenhaus ist voll belegt, weil dessen Bewohnerinnen keine Wohnung finden. So sind andere Frauen und Kinder weiterhin Gewalt und Missbrauch ausgesetzt, weil sie keinen Platz in einem Frauenhaus erhalten können. Weil es gerade bzgl. der besonderen Herausforderungen und spezifischen Bedingungen für "benachteiligte Gruppen" am Wohnungsmarkt bislang keinerlei wissenschaftlichen Daten gibt, hat die Liga Hessen die Studie bei dem Berliner Forschungsinstitut RegioKontext in Auftrag gegeben.
(Zu den benachteiligten Gruppen werden im Rahmen dieser Studie Menschen gerechnet, die den Schritt aus einem stationären Kontext in den regulären Wohnungsmarkt vollziehen müssen, wie Geflüchtete, Strafentlassene, Suchtkranke, Menschen mit Behinderungen, junge Erwachsene aus der stationären Jugendhilfe, Frauen mit und ohne Kinder aus Frauenhäusern sowie wohnungslose EU-Bürger*innen.)
Zusammen mit Handlungsempfehlungen und Lösungsvorschlägen in Form eines Positionspapieres haben Vertreter*innen der Querschnittsarbeitsgruppe Wohnen die Ergebnisse der Studie bei einer virtuellen Pressekonferenz vorgestellt. Ziel dabei ist, praktische Anregungen und Anknüpfungspunkte für Politik und Wohnungswirtschaft zu bieten. "Die Studie hat deutlich gemacht, dass unsere Klient*innen mit vielen Herausforderungen und Hindernissen zu kämpfen haben", sagt Jörg Klärner, Vorsitzender des Liga-Arbeitskreises "Grundsatz- und Sozialpolitik". "Oft werden sie von Vermieter*innen nicht als ernstzunehmende Mieter*innen in Betracht gezogen. Sie sind Vorurteilen und Diskriminierung ausgesetzt. Dazu kommen bürokratische Hürden und natürlich finanzielle Aspekte, denn ein Großteil der Klient*innen ist angewiesen, dass die Kosten der Unterkunft (zumindest zeitweise) übernommen werden." Laut der Wohnungsbedarfsprognose für die hessischen Landkreise und kreisfreien Städte von 2016 entsteht bis 2040 ein zusätzlicher Bedarf von 500.000 Wohnungen, davon entfallen 86 Prozent allein auf Südhessen. In Nordhessen sind der Großraum Kassel und in Mittelhessen die Universitätsstädte betroffen. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Die Liga Hessen steht für Gespräche und Kooperationen mit Politik und Wohnungswirtschaft zur Verfügung. Denn nicht nur unsere Klient*innen brauchen mehr bezahlbare und bedarfsgerechte Wohnungen. Wohnen und die Suche nach Wohnraum ist mittlerweile für breite Bevölkerungsschichten zu einem Armutsrisiko geworden.
Ansprechpartner
Jörg Klärner, Liga-AK 1 "Grundsatz und Sozialpolitik" joerg.klaerner@dicv-limburg.de
Uwe Seibel I QAG Wohnen, Liga Hessen uwe.seibel@diakonie-hessen.de
Stefan Baudach I QAG Wohnen, Liga Hessen stefan.baudach@dicv-limburg.de
Die Studie zum Wohnraumbedarf benachteiligter Gruppen und das Positionspapier "Wohnraum für Alle" stehen hier zum Download bereit: https://www.liga-hessen.de/wir-ueber-uns/arbeitskreise/qag-wohnen