Frau Rössel-Drath, Sie haben am Montag zusammen mit dem VdK Hessen-Thüringen in Frankfurt zur "Demo ohne Menschen" eingeladen und auf die Belange der Menschen hingewiesen, die zuhause Angehörige pflegen. Welches Fazit ziehen Sie?
Ich hätte nicht gedacht, dass wir so viele Menschen erreichen. Wir konnten auf dem Liebfrauenberg sehr viele Gespräche führen. Fast immer waren es Menschen, die zuhause einen Angehörigen pflegen und versorgen. Die Palette der Probleme war groß, viele Fragen konnten wir beantworten und Info-Material weitergeben. Auffällig fand ich, dass vor allem pflegende Menschen mit Migrationshintergrund das Gespräch suchten: Oft kannten diese bisher kaum Ansprechpartner zur Unterstützung. Durch die niedrigschwellige Aktion konnten wir diesen Menschen wirklich weiterhelfen.
Warum haben Sie gerade jetzt zur Demo aufgerufen?
Wir als Interessenselbstvertretung von pflegenden Angehörigen als auch die Mitglieder des VdK Hessen-Thüringen haben das neue Pflegeunterstützungs- und Entlastungsgesetz, das ab 1. Juli in Kraft tritt, zum Anlass genommen, um auf die schwierige Situation in der häuslichen Pflege hinzuweisen. Die dort vorgenommenen ersten kleinen Verbesserungen sind gut, lösen die massiven Probleme der Pflege zu Hause aber in den wenigsten Fällen.
Die Pflege ist im gesellschaftlichen Diskurs immer wieder Thema. Hat die Politik einen blinden Fleck, was die häusliche Pflege durch Angehörige angeht?
Ja. Und das ist zutiefst ungerecht und einfach nicht zukunftsfähig. Denn jeder wird im Laufe seines Lebens betroffen sein: Entweder als pflegender Angehöriger oder als hilfsbedürftiger Mensch in Krankheit und Alter. Diese gewaltige Aufgabe wird zu über 80% von Familienangehörigen geleistet, oftmals sind es Frauen. Doch statt Anerkennung und Sicherung der Existenz und der Pflege reichen die Leistungen der Pflegeversicherung in keinem Fall aus - weder zuhause noch im Heim. Hohe Eigenanteile sind fällig: Deshalb pflegen viele alleine und geben Beruf und Privatleben auf, werden einsam und oft krank und sind im Alter arm. Da muss sich etwas verändern.
Welche konkreten Forderungen haben pflegende Angehörige?
Weniger Bürokratie und größere Selbstbestimmung: Möglich wäre dies durch ein Pflege-Budget, das neben Kurzzeit- und Verhinderungs- auch die Tagespflege sowie den Entlastungsbetrag und den Hilfsmittelbetrag umfasst und auch für engagierte "Nächste" eingesetzt werden kann. Zur sozialen Absicherung der Angehörigen braucht es Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf: Ausbau der Tagespflege und Betreuungsangebote sowie eine Lohnersatzleistung mindestens in Höhe des Elterngeldes. Auf der Landesebene Hessen begrüßen wir den weiteren Ausbau der Gemeindepfleger*innen, die vor Ort ältere Menschen besuchen und ihre Selbständigkeit unterstützen. Wir brauchen in den Kommunen "sorgende Netzwerke", Pflege-Konferenzen und kommunal gesteuerte Angebote in Zusammenarbeit mit der Wohlfahrtspflege und Genossenschaften. Vertretungen von pflegenden Angehörigen als Gesprächspartner und Experten gilt es zu unterstützen und an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Die Caritas leistet hier seit 15 Jahren auf der Diözesan- und Ortsebene Pionierarbeit mit IspAn, der Interessenselbstvertretung pflegender Angehöriger.
Hintergrund:
IspAn wurde seit 2008 in der Diözese Limburg als Projekt des Deutschen Caritasverbandes umgesetzt, um Mitsprache und politische Beteiligung von pflegenden Angehörigen zu stärken. Die IspAn-Gruppe in Frankfurt setzt sich seit 15 Jahren aktiv in der Stadt, auf Landes- und Bundesebene für die Mitsprache von pflegenden Angehörigen und die Verbesserung der häuslichen Pflege ein.
Das Referat "Angehörigenvertretung" im Caritasverband für die Diözese Limburg e.V. unterstützt Interessenselbstvertretungen von pflegenden Angehörigen wie IspAn, aber auch von Eltern, die als rechtliche Betreuer*innen Kinder mit hohem Förderbedarf in Caritaseinrichtungen haben (LACB Hessen).
Mehr Informationen zur Interessenvertretung pflegender Angehörigen unter www.ispan.de und Interessenselbstvertretung (dicv-limburg.de)