Limburg/ Mainz.- "Uns dürfte es gar nicht geben", erklärt der Sozialmediziner Gerhard Trabert am Dienstag, 28. Juni, bei einer Veranstaltung des Caritasverbandes für die Diözese Limburg e.V.. Damit meint er die Mainzer Straßenambulanz, die wohnungslose Menschen medizinisch versorgt und bei der er selbst mitarbeitet. "Genauso wenig wie die Tafeln", ergänzt er, denn auch dies sei in einem reichen Land wie Deutschland ein Armutszeugnis. Eigentlich sollte jeder in Deutschland einen Krankenversicherungsschutz haben, sprich ganz regulär medizinisch versorgt werden und in einem Supermarkt seine Lebensmittel kaufen können. Da dies jedoch nicht der Fall sei, müsse es Angebote wie diese geben, so Trabert. Armut sei in Deutschland kein Randproblem genauso wenig wie ein fehlender Krankenversicherungsschutz. Die Veranstaltung im Limburger Priesterseminar stand unter dem Motto: "Gesundheit für alle - hätten wir wohl gern?!" Dabei gab Trabert Einblicke in sein Engagement bei der Straßenambulanz und der "Poliklinik ohne Grenzen" und erörterte den Zusammenhang von Armut und Gesundheit.
Armut macht krank
"Armut in Deutschland betrifft vor allem Frauen, Kinder, Alleinerziehende, Menschen mit Migrationshintergrund und Paarhaushalte mit mehr als drei Kindern. Jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf. Und auch Altersarmut nimmt kontinuierlich zu", fasst Trabert zusammen. Hinzu komme, dass Armut schwerwiegende Folgen mit sich bringe: Krankheit, Stigmatisierung, Diskriminierung und nicht zuletzt eine geringere Lebenserwartung. Alle Erkrankungen kommen häufiger bei von Armut betroffenen Menschen vor. Auch Kinder, die in Armut leben, sind häufiger krank. Dazu zählen bereits im Kindesalter Depressionen und Angststörungen. Hier stellt er ernüchtert fest, "wie wenig das bei den politisch Verantwortlichen ankommt". Auch erwartet er - nicht nur von den politischen Entscheidungsträgern - dass sie nicht der Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen in Armut Vorschub leisten. Denn entgegen gängiger Vorurteile sparten beispielsweise Sozialleistungsempfänger am allerwenigsten bei ihren Kindern, sondern verwenden Teile ihres Budgets zusätzlich für ihre Kinder.
Clearingstellen und Anonymer Behandlungsschein
Zuvor hob bereits Diözesancaritasdirektor Jörg Klärner in seiner Begrüßung darauf ab, was politisch getan werden müsste, damit Menschen ihr Leben selbstbestimmt und in Würde gestalten können. Diese Frage sei zentral. Und hier bot der Abend, sowohl mit dem Vortrag Traberts als auch mit dem Vortrag der Vertreter der Medinetze in Gießen und Marburg, Anna Gschmack und Oliver Kühbeck, Lösungsvorschläge. Medinetze sind ehrenamtliche Initiativen, die Menschen eine Behandlung ermöglichen, denen der Zugang zu medizinischer Versorgung teilweise oder komplett versperrt ist. Hier streiten sie für die Idee eines "Anonymen Behandlungsscheins", der diese Lücke im System schließen könnte. Zusätzlich brauche es flächendeckend so genannte Clearingstellen, die Menschen ohne Krankenversicherung beraten und im Idealfall wieder in einen Versicherungsschutz bringen. In Rheinland-Pfalz gibt es dieses Modell bereits. Trabert schätzt die Zahl der Menschen in Deutschland, die keinen regulären Zugang zum Gesundheitssystem haben, auf 500.000. Der Mikrozensus 2019 zählte 61.000 Menschen, die angaben, keine Krankenversicherung zu haben. Die geschätzte Dunkelziffer ergibt sich unter anderem daraus, dass wohnungslose Menschen und Asylsuchende nicht erfasst werden.
Unverantwortbar, Menschen zu vergessen
Gerhard Trabert war im vergangenen Jahr Kandidat für die Wahl zum Bundespräsidenten. "Das hat ja leider nicht geklappt", bemerkt Stefan Baudach, Moderator der Veranstaltung, zu Beginn, "aber Sie haben das Thema Armutsbekämpfung auch über den Wahlkampf hinaus in den Fokus rücken können." Hier jedoch sieht Trabert nach wie vor die Gefahr, dass das Thema vergessen gehe. Daher wirbt er in seinem leidenschaftlichen Vortrag für soziale Verantwortung, gegen Entsolidarisierung, für ein Klima des respektvollen Zuhörens und für ein Miteinander auf Augenhöhe. Denn Gleichwürdigkeit könne nur dann gelebt werden, wenn wir nicht "von oben herab" handelten.
Und der Einsatz für soziale Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung sei außerdem nicht nur unter humanitären Aspekten zu betrachten, sondern dieser Einsatz stabilisiere zudem die Demokratie. Auch deshalb sei es unverantwortbar, Menschen zu vergessen.
Musikalisch umrahmt wurde der Abend von einem internationalen Musiktrio namens Qantara, das Teil des internationalen Musikprojekts "Brides-Musik verbindet" ist. Anstelle eines Eintritts wurde um Spenden für die Elisabeth Straßenambulanz des Caritasverbandes Frankfurt sowie für den Gesundheitsfonds und die ehrenamtliche hausärztliche Betreuung von wohnungslosen Menschen des Caritasverbandes Limburg gebeten.