In Hessen werden bei einem katholischen Träger in Sinntal-Sannerz derzeit acht Plätze für schwierige Kinder und Jugendliche in geschlossener Heimerziehung eingerichtet. Das Land investiert in das Projekt mehr als eine Million Euro. Damit wird in Hessen ein Paradigmenwechsel eingeleitet. Denn seit der „Heimkampagne“ in den siebziger Jahren existierten in Hessen keine geschlossenen Heime mehr. Hessische Kinder und Jugendliche wurden jedoch in anderen Bundesländern oder in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hessen geschlossen untergebracht.
Die CLAG Kinder-, Jugend- und Familienhilfe will die neuen Entwicklungen mit dem heutigen Hearing kritisch beleuchten sowie den Meinungsbildungsprozess in Hessen fördern und hat dafür Experten aus Wissenschaft und Praxis eingeladen, die Erfahrungen mit offner wie geschlossener Heimerziehung haben. „Wir wollen uns offensiv der Frage stellen, ob solche Hilfeformen zielführend sind und welche Voraussetzungen dafür nötig wären. Fest steht, dass die personelle wie finanzielle Ausstattung geschlossener Heime doppelt so hoch ist wie die von offenen Einrichtungen. Vielleicht wäre es sinnvoller die normale Heimerziehung besser auszustatten, statt bei schwierigen Kindern und Jugendlichen zur Ultima Ratio des Freiheitsentzugs zu greifen“, sagte heute Dr. Hejo Manderscheid, Vorstandsvorsitzender der Hessen-Caritas. Es gebe keine Untersuchungsergebnisse die bestätigen könnten, dass geschlossene Unterbringung wirksamer sei als andere Hilfsangebote, wenn diese personell und finanziell vergleichbar gut ausgestattet wären, erklärte auch CLAG-Geschäftsführer Jürgen Hartmann-Lichter.
Zudem existiere bisher kein allgemein gültiger und verlässlicher Indikatoren-Katalog, der zur Entscheidungsfindung für eine offene oder geschlossene Heimerziehung herangezogen werden könne. Hier seien vor allem das Landesjugendamt sowie das hessische Sozialministerium gefordert, das die geschlossene Unterbringung auch evaluieren müsse. „Wenn sich die Verantwortlichen dazu entschließen, Kinder und Jugendliche im Rahmen der Erziehungshilfe temporär einzuschließen, muss es dafür natürlich klare konzeptionelle und fachliche Vorgaben geben“, verlangte Manderscheid.
Der Theologe und Soziologe forderte langfristig, soziale, familiäre und bildungspolitische Probleme zu lösen, statt kurzfristig wirkende Zwangsmassnahmen durchsetzen. Die Problemlagen der Kinder und ihrer Familien müssten so früh wie möglich erkannt und Möglichkeiten der angemessenen Intervention und Unterstützung gefunden werden. Für die Kinder- und Jugendhilfe sei Erziehung die richtige Antwort, wenn es beim Aufwachsen junger Menschen zu Anpassungsschwierigkeiten und Normbrüchen komme. Hierzu bedürfe es einer Neuorientierung der Jugendhilfe. „Nicht am Ende einer „Jugendhilfekarriere“ muss gehandelt werden, sondern bevor die „Karriere“ beginnt. Prävention und individualpädagogische Ansätze müssen in neuen Angebotsstrukturen einfließen“, heißt es im Diskussionspapier der CLAG Kinder-, Jugend- und Familienhilfe.
Das Hearing ist auch ein Beitrag zum Jahresthema des Deutschen Caritasverbandes „Achten statt Ächten“. Diese Kampagne hat zum Ziel, die Probleme von benachteiligten Kindern und Jugendlichen in der Öffentlichkeit zu thematisieren. Der Deutsche Caritasverband vertritt hinsichtlich delinquenter Jugendlicher die Auffassung, dass der Staat für die Ahndung schwerer Straftaten von Jugendlichen bereits über ein Sanktionsinstrumentarium verfügt, da s ihm adäquate Reaktionen ermöglicht. Eine Verschärfung sei nicht zielführend.
Ansprechpartner:
Jürgen Hartmann-Lichter
Geschäftsführer CLAG Kinder-, Jugend- und Familienhilfe
Handy: 0160/ 93 98 56 13
Hintergrund:
Die Hessen-Caritas ist die Arbeitsgemeinschaft der drei hessischen Diözesancaritasverbände (Caritasverband für die Diözese Fulda e.V., Caritasverband für die Diözese Limburg e.V. und Caritasverband für die Diözese Mainz e.V.). Sie vertritt die sozialpolitischen Interessen der Caritas sowie ihrer Mitglieder gegenüber dem Land Hessen, den politischen Parteien, den hessischen kommunalen Spitzenverbänden, den Sozialleistungsträgern und sonstigen Behörden auf Landesebene. Überdies wirkt sie in der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen e.V. mit. Der Vorsitz liegt gemäß der Ordnung der Arbeitsgemeinschaft beim Direktor des Caritasverbandes für die Diözese Limburg e.V, Herrn Dr. Manderscheid. In 1.288 Caritas-Einrichtungen betreuen und beraten insgesamt 32.000 Ehrenamtliche und 23.078 hauptamtliche Mitarbeiter pro Jahr rund 700.000 Bürger.
Zur Hessen-Caritas gehören sechs Caritas-Landesarbeits-Gemeinschaften (CLAG Kinder-, Jugend- und Familienhilfe; Altenhilfe/Pflege; Behindertenhilfe/Psychiatrie; Soziale Sicherung; Sucht; AG Katholischer Krankenhäuser). In der CLAG Kinder-, Jugend- und Familienhilfe sind die katholischen Träger und Einrichtungen der erzieherischen Hilfen der Diözesen Fulda, Limburg und Mainz zusammengeschlossen. Sie vertritt in der Erziehungshilfe Einrichtungen und Dienste mit rund 950 stationären und 600 teilstationären Plätzen sowie einem umfangreichen Angebot an ambulanten Betreuungsformen.