Hofheim/Limburg.- Es tut gut, mal eine Auszeit zu nehmen und zur Ruhe zu kommen. Das sagt Pfarrer Ludwig Reichert vom "Refugium" in Hofheim im Taunus. Denn eins ist für ihn ganz klar, Menschen, die ehrenamtlich oder beruflich für Andere da sind, müssen auch mal selbst "empfangen", denn "man kann nicht immer nur geben". Deshalb halten sein Team und er seit 20 Jahren im Refugium in Hofheim viele gute Angebote für ehrenamtlich und hauptamtlich Engagierte in Caritas und Pastoral vor. Dabei geht es immer auch um eine "Auszeit für die Seele". Zum 20-jährigen Bestehen des Refugiums, man könnte es mit "Rückzugsort" oder "Schutzraum" übersetzen, erzählt Reichert im Interview, was sich hinter dem ersten Angebot dieser Art in Deutschland und seiner Erfolgsgeschichte verbirgt. Träger des Refugiums ist der Caritasverband für die Diözese Limburg und das Bistum Limburg.
Glückwunsch zum 20. Geburtstag! Können Sie das "Geburtstagskind" vorstellen: Was ist das Refugium? Und wie kam es dazu, dass damals jemand gesagt hat: "Sowas brauchen wir hier!"?
Reichert: Das Refugium bietet Menschen, die seelsorglich und caritativ im Bistum Limburg tätig sind, die Gelegenheit für eine innere und äußere Auszeit. Konkret bietet das fünfköpfige Team Einzelgespräche, Exerzitienwochen und Besinnungs- oder Oasentage an, beispielsweise auch für ganze Teams, sei es von einer Kita, einer Sozialstation oder einer Pfarrei. Sein Zuhause hat das Refugium im Exerzitienhaus in Hofheim. Der Initiator des Refugiums war unser früherer Bischof Franz Kamphaus. Ihm war die Seelsorge für ehrenamtlich Engagierte und für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Gemeindearbeit und der Caritas ein großes Anliegen. Und er wollte, dass sie mehr miteinander in Verbindung kommen.
So konnten wir die Idee des Refugiums entwickeln. Sehr unkompliziert haben wir damals von den Verantwortlichen im Diözesancaritasverband Limburg und dem bischöflichen Ordinariat die nötige Unterstützung erfahren.
Mehr miteinander in Verbindung kommen - wie ist das gemeint?
Reichert: Vor allem bei Exerzitienwochen begegnen sich Hauptamtliche und Ehrenamtliche, treffen sich unterschiedliche kirchliche Berufsgruppen. Sie entdecken: es sind ähnliche Glaubensfragen oder Kirchenthemen, die sie bewegen. Wo sonst Caritas und Pastoral wie verschiedene Welten erscheinen, wächst hier im kleinen zusammen, was zusammengehört.
Wie kann man sich die Angebote wie Einzelgespräche oder Exerzitien beispielsweise für Ehrenamtliche vorstellen? Und wer kommt zu Ihnen mit welchen Erwartungen oder auch Sorgen und Nöten?
Reichert: Da kommen Menschen zu uns, die bewusst aus dem Hamsterrad aussteigen wollen - und sei es "nur" für eine Stunde Gespräch. Sie suchen in einer ruhigen Atmosphäre Abstand vom beruflichen und privaten Alltag. Manchmal sind es konkrete Probleme, die Einzelne zu uns führen. Sie suchen dann ein offenes Ohr, um sich innerlich sortieren zu können. Und dann gibt es nicht wenige, die regelmäßig einmal im Monat zur geistlichen Begleitung kommen. Bei ihnen steht der eigene Glaubensweg, die Frage nach Gott und die christliche Prägung des persönlichen und beruflichen Lebens im Mittelpunkt.
Wie wichtig sind solche Auszeiten? Warum brauchen wir ab und zu eine Pause?
Reichert: Gerade Menschen, deren ehrenamtliches Engagement oder deren Beruf darin besteht, für Andere da zu sein, brauchen Zeiten zum Innehalten. Ich kann nicht immer nur geben. Ich muss auch empfangen und sei es einfach das Geschenk der Zeit, der Muße, der Stille. Das lateinische Wort Exerzitien heißt "Übungen": einüben, mit sich allein zu sein, im Alleinsein die Nähe Gottes spüren und so Kraft schöpfen, sich neu dem Alltag zu stellen.
Was bekommen Sie und Ihr Team für Rückmeldungen und was war vielleicht auch die schönste Rückmeldung, an die Sie sich erinnern?
Reichert: Immer wieder sind es solche Sätze: "Bei euch im Refugium muss ich nichts leisten", "da erwartet keiner was von mir", "ich habe meine Seele mal wieder gespürt".
Besonders bewegt hat mich vor einigen Jahren folgende Erfahrung: Da kam in einer Krisensituation eine Mitarbeiterin zum Gespräch. Auf dem Hintergrund ihrer Sozialisation war ihr der christliche Glaube fremd. Nach dem Gespräch sagte sie: "Als ich durch die Tür kam, habe ich ganz stark gespürt: Hier bin ich zu Hause". Das hat mich damals tief beeindruckt. Denn Zuhause ankommen bedeutet auch bei sich selbst ankommen.
Zuletzt war Corona eine mitunter sehr belastende Situation für viele Engagierte? Wie haben Sie das wahrgenommen und wie haben Sie darauf reagieren können?
Reichert: Die digitale Welt haben wir auch im Refugium für uns entdeckt. Über Monate haben wir täglich, später wöchentlich Texte, Bilde, Podcasts eingestellt, die in den belastenden Coronazeiten Mut machen und "Aufwind" geben sollten. Das Besondere: Sie waren nicht abgekupfert, sondern von uns ganz persönlich formuliert. Die Resonanz war beeindruckend. Und das hat uns natürlich gefreut.
Zusammen mit dem Geburtstag wird auch ein Abschied gefeiert. Ihr eigener. Sie gehen nach 44 Jahren als Seelsorger und nach 20 Jahren im Refugium in Ruhestand. Ihnen für den kommenden Lebensabschnitt alles Gute, was wünschen Sie dem Refugium für den nächsten Lebensabschnitt - dann ohne Sie? Was ist für Sie das Wesentliche an der Arbeit des Refugiums, das, was in Zukunft vielleicht auch noch stärker ausgebaut werden sollte.
Dem Team wünsche ich weiterhin viel Freude am Miteinander. Bei uns ging es meistens fröhlich zu, das war immer ein Gegenpol zu den oft eher schwierigen Dingen, die in den Seelsorgegesprächen benannt wurden. Das Leben ist nie nur schwer, es ist auch leicht. Das haben wir immer gemeinsam auszustrahlen versucht und das darf und wird auch so bleiben. Da bin sicher."
Und dass auch die Erfolgsgeschichte sicher weitergehen wird, daran lässt auch eine umfangreiche Evaluation des Refugiums seitens der Universität Münster im vergangenen Jahr keinen Zweifel. Dem Konzept und dem Team wurde quasi die Note "sehr gut" bescheinigt. In dem Papier heißt es nüchtern, aber vielsagend: "Die hohen Zufriedenheitswerte fallen auf." Ein überwiegender Teil der Besucher sei mit den Begegnungen im Refugium voll und ganz zufrieden und konnte Vertrauen entwickeln. Den Verantwortlichen im Refugium sei es sowohl in den Einzelgesprächen wie auch in den weiteren Maßnahmen gelungen, eine Vertrauensbasis zu schaffen und auf dieser Basis den Anliegen der Besucher gerecht zu werden, und dabei zu keinem Zeitpunkt indoktrinieren zu wollen. Arbeitsstil, Umgangsformen und Grundhaltungen, die von den Verantwortlichen im Refugium gelebt und praktiziert werden, kurzum ihre "Spiritualitätsdidaktik", haben in dieser Hinsicht, so die Evaluation der Universität Münster, Pilotcharakter. Doch einen Kritikpunkt gab es, hier wurde ein Teilnehmer der Befragung zitiert: "Das Refugium sollte viel bekannter sein." (fl)