FRANKFURT/LIMBURG.- Wie kann eine gute Zukunft für alle aussehen? Wie können Kommunen für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen? Wie können die Folgen der Corona-Pandemie bewältigt werden? Um diese zentralen Fragen ging es beim 15. Hessischen Sozialforum am Samstag, 30. Januar, angenommen. Das Hessisches Sozialforum, ein Bündnis aus sozialen Bewegungen, aus Kirchen, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden, darunter der Caritasverband für die Diözese Limburg e.V. hatte coronabedingt in diesem Jahr zu einer digitalen Veranstaltung einladen. Unter dem Motto „Zukunft für alle! Gerecht – ökologisch – sozial“ hat das Bündnis unter anderem seine Forderungen zu den Kommunalwahlen in Hessen vorgestellt. Dabei hatten sich insgesamt 480 Teilnehmern zum Live-Stream des Frankfurter Haus am Dom zugeschaltet.
Ernüchternde Übereinstimmung herrschte bei den Gesprächspartnern, dass die Pandemie nicht alle gleich treffe, sondern die Spaltungen und Ungleichheiten in Hessen dramatisch verschärft habe. Corona habe wie in einem Brennglas diese Spaltung gezeigt, so einer der Hauptredner an diesem Vormittag, Professor Gerhard Trabert von der Hochschule Rhein-Main. „Armut nimmt zu“. Und was Armut alles bedeute, nämlich sehr viel mehr als ein „Mangel an Ressourcen“, leuchtete Trabert in seinem Impulsvortrag aus. Armut habe auch Auswirkungen auf die Lebenserwartung. Die Lebenserwartung armer Menschen liege deutlich unter dem reicher Menschen, bei Frauen beispielsweise acht Jahre. Auch sind Frauen stärker gefährdet, arm zu werden. Armut versteht Trabert auch als einen „Mangel an Freiheit“ in der Art und Weise, wie man lebt.
„Armut bedeute zudem in Stress zu leben“, erklärt er. Was allein der Wegfall einer warmen Mahlzeit in Kita oder Schule während des Lockdowns für arme Familien bedeute, schilderte Trabert eindringlich. Auch haben Kinder ärmerer Familien nicht selbstverständlich einen Laptop, das sei eine „strukturelle Benachteiligung“ in der Pandemie. „Da kann ich nur mehrere Haken dranmachen“, pflichtete Gaby Hagmans, Direktorin des Caritasverbandes Frankfurt, Trabert bei. Auch sie sehe diese Entwicklung schon länger, aber unter Corona habe sich diese Entwicklung beschleunigt und verschärft. Sie rekurrierte auf die Initiative „Mietenstopp“. Hier wünschte sie sich, dass Stadt und Kommune diese Initiative unterstützten. Denn unter Corona steige auch in Frankfurt die Armut. „Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, kein Einstieg in die Ausbildung“, führt Hagmans einige Gründe auf. Die Pandemie werde auf dem Rücken der Einzelnen ausgetragen, bei dieser Last seien die Schwächsten und Ärmsten schlechter gestellt, so Hagmans. Auch hier müsse die Kommune aktiv werden, forderte sie die Verantwortlichen auf, warb aber gleichzeitig auch für Verständnis für die Kommunen, deren Handlungsspielraum durch Vorgaben und Gesetze von Land und Bund eingeschränkt sei. Hier müsse auch über Rahmenbedingungen für Kommunen gesprochen werden.
Klärner: Papier als Handreichung nutzen
Sechs Wochen vor der Kommunalwahl wurden direkt zu Beginn der Veranstaltung klare politische Forderungen für eine zukünftige Politik in Hessen formuliert, die unter anderem Stefan Baudach vom Diözesancaritasverband für das Hessische Sozialforum vorgestellt hat. Das Positionspapier fordert Kommunen auf, Armut zu bekämpfen, die soziale Infrastruktur auszubauen und die Folgen der Pandemie zu kompensieren. Flächendeckend soll eine gute medizinische Beratung und Versorgung vorgehalten werden, die digitale Infrastruktur muss gestärkt werden; ebenso müssen das Thema Bildung und die Ausstattung von Schulen und Kitas angepackt werden. Kommunen sollen Aufträge nach Kriterien einer „guten Arbeit“ vergeben. Auch das Thema Beschäftigungs-und Wohnungspolitik muss Priorität eingeräumt werden. Auch die Kulturförderung soll nach dem Papier wieder zentrale Aufgabe der Kommunen werden. Eine weitere Forderung ist unter dem Stichwort „Gleichheit und Gerechtigkeit“ aufgeführt: Kommunen müssen sich stark machen gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Diözesancaritasdirektor Jörg Klärner empfiehlt das Positionspapier allen Haupt- und Ehrenamtlichen in Caritas und Kirche im hessischen Teil der Diözese Limburg „Nutzen Sie das Papier als Argumentationshilfe, Handreichung und Diskussionsgrundlage. Gerade jetzt in der Pandemie, deren Bewältigung uns noch lange beschäftigen wird, müssen wir über Armut sprechen, über soziale Gerechtigkeit und Teilhabe.“
Das Positionspapier mit insgesamt zehn Herausforderungen gibt es hier im Wortlaut.
Die Veranstaltung war dicht an Themen und Forderungen, was alleine die Gästeliste der beiden Talkrunden zu „Klima – Verkehr – Umwelt“ und „Gesundheit – Wohnen –Soziales“ veranschaulichen kann. Nach einem Grußwort des Frankfurter Oberbürgermeisters Peter Feldmann kamen folgende Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer zu Wort: Gabi Hagmans (Caritasverband Frankfurt), Dr. Katharina Knacker (Radentscheid Frankfurt), Alexis Passadakis (Klima-ATTAC), Conny Petzold, („Mieter helfen Mietern“), Professor Gerhard Trabert, Nina Treu (Konzeptwerk Neue Ökonomie, Leipzig), Leonie Wicke (Fridays for Future Frankfurt), Sandro Witt (DGB-Hessen) und Esther Woertz (VdK). Auch im begleitenden Chat wurde lebhaft über Ideen und Forderungen diskutiert. Im Fokus dabei die Frage, wie soziale und ökologische Gerechtigkeit und gesellschaftliche Teilhabe in den Kommunen hergestellt werden kann. Dabei ging es auch um bezahlbaren Wohnraum und um eine ökologische Verkehrswende.
Hintergrund: Trägerkreis des Hessischen Sozialforums
Der Trägerkreis des Hessischen Sozialforums setzt sich wie folgt zusammen: agah – Landesausländerbeirat Hessen, Attac Frankfurt, Bündnis „Soziale Gerechtigkeit in Hessen“ (34 Verbände und NGOs, darunter der Caritasverband für die Diözese Limburg e.V.), Evangelische Akademie Frankfurt, Förderverein Trommel e.V. Wiesbaden, Friedens- und Zukunftswerkstatt, GEW Hessen, Hessischer Flüchtlingsrat, IG Metall Bezirk Mitte, Initiativgruppe Bedingungsloses Grundeinkommen Frankfurt Rhein-Main, Gewerkschaft NGG Hessen/ Rheinland-Pfalz/Saar, Rosa-Luxemburg- Stiftung Hessen, ver.di Hessen, Pax Christi Rhein-Main-Regionalverband Limburg/Mainz.