Die Bundesregierung will 2024 bei der Migrationsberatung fast 30 Prozent ihrer Zuschüsse streichen. Martina Schlebusch, Referentin der Caritas für Integration, befürchtet eine nachhaltige Schwächung von Integrationsmaßnahmen. Wer hier spare, habe aus den Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt und überlasse Integration dem Zufall.
Frau Schlebusch, Berlin will 2024 die Bundeszuschüsse für die Migrationsberatung von 81,5 Millionen Euro auf 57 Millionen Euro kürzen. Das macht fast 30 Prozent aus. Was würde das bedeuten für die Migrationsberatungsdienste im Bistum?
Wir müssen damit rechnen, dass an einigen Standorten die Lichter dauerhaft ausgehen. Und das wäre nicht nur für viele Ratsuchende fatal, weil sie direkte Ansprechpersonen verlieren, sondern hätte auch Folgen für das gesamte Integrations-Netzwerk. Die Einrichtungen sind echte Integrationsmotoren. Viele ergänzende Angebote - zum Beispiel Sprachmittler, Ehrenamtliche, private wie auch kommunale Initiativen - verlieren mit ihnen eine wichtige Konstante und würden selbst in Frage gestellt. Für mich ist nicht nachvollziehbar, warum bei der Migrationsberatung gespart werden soll. Gerade in Hessen wäre diese Kürzung fatal, weil wir keine ergänzenden landesgeförderten Programme haben, auf die der Bund als Alternative verweist.
In Hessen gibt es seit vielen Jahren Migrationsberatungsstellen. Was meinen Sie genau damit, wenn sie von Integrationsmotoren sprechen?
Wo soll ich da anfangen? Vielleicht damit, dass die Ukrainehilfe des Caritasverbandes Wiesbaden-Rheingau-Taunus in diesem Jahr den Integrationspreis der Stadt Wiesbaden erhalten hat. Oder dass der Caritasverband Frankfurt für sein interkulturelles Seniorentreff-Projekt in Höchst schon vor Jahren mit dem Deutschen Altenhilfepreis ausgezeichnet wurde. Beide Initiativen stehen in direktem Zusammenhang mit der Migrationsberatung. Die Dienste sind gut vernetzt, ermöglichen tolle Initiativen und Projekte und zeigen gerade in Krisensituationen wie z.B. während Corona, was sie für die Gesellschaft leisten. Man darf diese Einrichtungen nicht als reine Beratungsstellen sehen, sondern muss sie als Plattformen verstehen, die von vielen Ehrenamtlichen - auch Zugewanderten - unterstützt und mitgetragen werden.
Mit welchen Anliegen suchen die Menschen die Beratungsstellen auf?
Wer nach Deutschland kommt, steht vor einem Berg an Aufgaben: Zugewanderte und Geflüchtete müssen sich in einer fremden Umgebung zurechtfinden, Deutsch lernen, benötigen eine Wohnung und suchen eine Arbeit. Viele Behördengänge und Behördenanfragen müssen erledigt werden. Hinzu kommt eine große Unsicherheit bei aufenthaltsrechtlichen Fragen oder Fragen zum Asylverfahren - übrigens nicht nur bei den Ratsuchenden selbst, sondern auch bei Unternehmen, die wissen wollen unter welchen aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen sie Menschen einen Ausbildungsplatz anbieten können. Bei all diesen Themen hilft die Migrationsberatung weiter.
Und wie genau?
Sie hat gute Zugänge zu Jobcentern und Trägern von Integrationskursen, oft gibt es Kooperationsvereinbarungen. Sie vermittelt in Sprachkurse, hilft dabei, den Kontakt zu Behörden aufzunehmen und Anfragen zu beschleunigen. Es gibt an vielen Orten eine enge Zusammenarbeit mit weiteren Beratungsstellen der Caritas wie zum Beispiel der Schuldnerberatung, der Erziehungsberatung, dem psychologischen Diensten oder der Allgemeinen Sozialberatung. Die Stellen bringen Menschen zusammen, bei Bedarf werden Ratsuchende an spezielle Fachstellen z.B. für die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen weitervermittelt.
Wie viele Menschen lassen sich jährlich beraten?
Allein 2022 haben die Dienste der Caritas fast 6.000 Personen beraten oder mitberaten. Das ist eine große Zahl. Es kann nicht im Interesse von Politik sein, so viele Menschen, die Teil dieser Gesellschaft werden möchten, mit ihren Fragen allein zu lassen und so Integration dem Zufall zu überlassen.
Inwiefern?
Weil wir ein Interesse daran haben müssten, dass die Menschen gut in Deutschland ankommen. Mir geht es um humanitäre Aspekte, aber auch darum, dass wir Fach- und Arbeitskräfte dringend benötigen. Und dass wir aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und nicht zu einer Politik der Desintegration zurückkehren. Unserer Erfahrung nach kommen überwiegend Menschen nach Deutschland, die sich eine Existenz aufbauen wollen. Damit sie Fuß fassen können in Schule, Ausbildung und Beruf benötigen sie eine Vorstellung davon, wie es gehen kann. Was zu tun ist. Wohin sie sich wenden müssen. Dass es gelingen kann, wenn alle an einem Strang ziehen, zeigen die neuesten Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: 54 Prozent der 2015 eingereisten Personen im erwerbsfähigen Alter sind in den Arbeitsmarkt integriert. Männer zu 67 Prozent, Frau zu 23 Prozent - trotz Corona.
Was wünschen Sie sich?
Dass das Ankommen in Deutschland mit weniger Hürden verbunden ist. Die jahrelange Unsicherheit verhindert Integration. Die Migrationsdienste sind Brückenbauer zwischen Ratsuchenden und Institutionen. Sie unterstützen im oft sehr komplexen Integrationsprozess. Ich würde mir wünschen, dass das mehr anerkannt wird, der Bund seine Kürzungspläne zurücknimmt und wir zu einer konstanten Finanzierung kommen, die nicht immer wieder in Frage gestellt wird. Auch die Hessische Landesregierung sollte endlich die Migrationsberatung fördern. Der Minister ist herzlich eingeladen, sich die Arbeit vor Ort anzuschauen.
Zur Person
Martina Schlebusch ist Referentin für Integration und seit 2001 im Caritasverband für die Diözese Limburg tätig. Die studierte Sozialwissenschaftlerin ist in dieser Funktion für die Migrationsberatung der Caritas im Bistum Limburg zuständig.
Migrationsberatungen im Bistum Limburg
Migrationsberatungen der Caritas im Bistum Limburg gibt es unter anderem in Wiesbaden, Frankfurt, Limburg, Wetzlar, Montabaur, Bad Homburg und Hofheim. Mehr Informationen zu den Angeboten finden sich auf den Homepages der jeweiligen Caritasverbände vor Ort sowie unter www.Migrationsberatung.org.