LIMBURG/FRANKFURT.- Pfarrer Michael Metzler, Vorstandsvorsitzender des Caritasverbandes für die Diözese Limburg e.V. und Dezernent Caritas, geht nun, „pünktlich“ zu seinem 75. Geburtstag am 30. August, in Ruhestand. Im Interview erzählt er von 50 Jahren im Dienst der Kirche, von seinem Frankfurt und seiner Caritas. Er verrät ein Geheimrezept – und erklärt, was seine Zukunft mit Straßenbahnen zu tun hat.
FRAGE: Immer wieder ist von Ihnen als Brückenbauer die Rede. Sie werden als Vorbild und Mentor, als kluger Optimist, als verbindlicher Menschenfreund, guter Prediger, und empathischer Seelsorger beschrieben. Finden Sie sich in diesen Beschreibungen wieder? Und wie würden Sie sich am ehesten beschreiben?
Metzler: Ja, wie weit klaffen Fremd- und Selbstwahrnehmung auseinander (lacht)? Nein, es stimmt schon, ich erkenne mich da – in aller Bescheidenheit – wieder. Es sind eigentlich ein paar einfache Grundhaltungen, die mich von Anfang an in meinem Dienst als Kaplan, als Priester, als Pfarrer, als Dezernent, begleitet haben. Mein Primizspruch bringt eine davon auf den Punkt: „Wir sind nicht Herren über Euren Glauben, sondern Diener zu Eurer Freude“. Ich kann sagen, dieser Satz aus dem 1. Korintherbrief, den ich mir damals gewählt habe, hat mich wirklich diese 50 Jahre begleitet. Ich habe niemals aus inneren Haltung heraus das Bedürfnis gehabt, Herr über jemanden zu sein oder es besser zu wissen, wie ein Leben aus dem Glauben heraus geht. Es war mir vielmehr immer eine Freude, in der Begegnung mit Menschen zu erleben, dass der Glaube eine Kraft zu einem sinnvollen Leben ist.
Einmal nach der Pfingstmesse, als ich gerade in meiner ersten Pfarrei angefangen hatte, fragte ein Jugendlicher: „Sag mal, was war denn jetzt die Frohe Botschaft in Deiner Predigt?“ Das habe ich nie vergessen. Was ist die Frohe Botschaft, die ich weiterzusagen haben und zu leben versuche? Auch dieser Satz begleitet mich seither. Diese positiven Grundhaltungen gehen mit der Grundaussage einher, die der französische Bischof Jaques Gaillot so formuliert hat: „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts“. Diese Grundhaltung habe ich immer versucht zu leben. Vielleicht ist es mir auch ein bisschen gelungen.
FRAGE: 50 Jahre im Dienst der Kirche. Woran denken Sie besonders gerne zurück, wenn Sie an Ihre Stationen als Seelsorger und Führungskraft zurückdenken?
Metzler: Ich denke an alle Stationen gerne zurück. Auch da gab es eine Grundhaltung: Da, wo ich bin, bin ich immer ganz. Ich hänge nicht nach, wo ich vorher war und plane nicht, wo es dann hingeht. Vielleicht muss man dazu ausholen, wie ich mir das damals als Pfarrer vorstellte: Ich bin in einer einfachen Gemeinde aufgewachsen, vor Beginn des Zweiten Vatikanums, mit einem älteren Pfarrer, der ganz freundlich und menschlich war und mich schon früh in die ehrenamtliche Arbeit miteingebunden hatte. Da wuchs bei mir das Bild eines Pfarrers mit überschaubaren Strukturen. Ja, das kann ich mir so vorstellen für mein Leben.
Aber es kam alles anders, und es kam nicht anders, weil ich es wollte, sondern weil andere im Bistum auf mich zugekommen sind, und gesagt haben, wir könnten uns Dich für diesen Dienst vorstellen. Ich habe öfter nein gesagt, oft aber auch ja. Ich bereue kein einziges Ja. Es wurde mir auch immer leicht gemacht, denn wo ich war, hatte ich immer mit Menschen zu tun. Wenn Gott die Menschen so wichtig waren, dass er in Jesus Christus Mensch geworden ist: Was willst Du dann mehr? Woran ich also gerne zurück denke, an ganz viele Menschen.
FRAGE: Und woran denken Sie vielleicht auch nicht so gerne zurück?
Metzler: An wenige Momente, aber was mir direkt einfällt: Als ich 2010 die Aufgabe des Vorstandsvorsitzenden beim Diözesancaritasverband übernommen hatte, waren das sehr schwierige Zeiten mit der damaligen Bistumsleitung.
Und was Sie sich sicher schon denken können. Was ich am belastendsten empfinde, sind die Fälle sexuellen Missbrauchs durch Kleriker und Ordensleute.
Auch bekomme ich viele Notlagen von Frauen mit, die sich an unsere Beratungsstellen wenden. Die Frauen bekommen über den bischöflichen Hilfsfonds, den ich mitverwalte, finanzielle Unterstützung. In den Anträgen schildern die Beraterinnen die Notlagen der Frauen. Welch gewalttätigen Situationen Frauen ausgesetzt sind, ich könnte manchmal heulen. Andererseits erlebe ich hier ganz konkret: Caritas ist ganz nah an den Menschen, nimmt deren Lebenssituation so ernst, wie sie ist, und hilft.
FRAGE: Kann diese Nähe eine Antwort sein auf Fragen nach der Zukunft der Kirche? Gerade in Zeiten, in denen immer mehr aus der Kirche austreten und vielleicht auch nicht mehr wissen, wofür Kirche steht. Was wünschen Sie der Kirche und der Caritas im Bistum Limburg für die Zukunft?
Metzler: Wir sind ja mit unserem Bischof Georg und dem Prozess der Kirchenentwicklung auf einem guten Weg. Die Kernfrage, die der Bischof schon in seinem ersten Hirtenbrief formuliert hat, lautet ja: Für wen sind wir als Kirche da? Und ich meine, darauf gibt alles karitative Tun der Kirche, auch das nicht-verbandliche, eine Antwort.
Wir müssen hingehen zu den Menschen. Gott ist ein menschenfreundlicher Gott. Kirche lebt, wenn Menschen ein bisschen besser und menschenwürdiger leben können. Da passiert ja auch ganz viel in den karitativen Einrichtungen der Kirche. Der Pastoraltheologe Jan Loffeld hat gesagt, dass das zukünftige Christentum zwei Lungenflügel hat: Das Diakonische und das Rituelle. Das weist doch den Weg: Wenn die Kirche nicht lebensdienlich ist, dann ist sie nicht die Kirche Christi. Dann brauchen wir sie nicht. Und wir haben ja eine Botschaft, die jeden Menschen annimmt und ernstnimmt, die die Würde des Menschen achtet, wir haben sogar eine Perspektive über den Tod. Was wollen wir mehr?
FRAGE: Wenn Sie über die Zukunft der Kirche sprechen, fließt da sicher auch Ihre langjährige Arbeit für die Caritas mit ein. Was haben Sie aus den vergangenen Jahren beim Diözesancaritasverband mitgenommen, stärker wahrgenommen oder auch gelernt?
Metzler: Ganz banal: Ohne Caritas gibt es keine Kirche. Der Caritasverband Westerwald/Rhein-Lahn hat mal formuliert „Caritas - ein starkes Stück Kirche“. Das würde ich 1:1 so unterschreiben. Ein Basiselement des gelebten christlichen Glaubens ist die Wertschätzung eines jeden Menschen. Bischof Franz Kamphaus wurde einmal nach dem Wert eines Menschen gefragt. Er antwortete, der Mensch hat keinen Wert, Wert haben nur Sachen, der Mensch hat eine Würde und die ist jedem gleich. Dieser große Satz wird lebendig und bekommt Hand und Fuß in tausend Einsätzen von Haupt- und Ehrenamtlichen in ihrem karitativen Engagement und in der Anwaltschaft für Benachteiligte und Arme.
Und ich habe auch gelernt, dass bei diesem Engagement nicht unbedingt zählt, ob jemand katholisch ist oder nicht. Wir sind keine Mitgliedergemeinschaft, sondern eine Wertegemeinschaft. Das sieht nicht jeder so, ich sehe das so. Und ich habe gelernt, was geleistet wird von vielen Menschen in den verschiedenen Caritasverbänden im Dienst an den Menschen. Und auch, dass diese Leistungen, je näher sie am Menschen dran sind, desto schlechter bezahlt werden. Das ist ja ein offenes Geheimnis.
FRAGE: Sie waren Jahrzehnte in der Seelsorge und in leitenden Funktionen in Frankfurt tätig, Sie sind auch, salopp gesagt, ein „Frankfurter Bub“, aber vor allem eine der markantesten Persönlichkeiten der Kirche in Frankfurt. Was bedeutet Ihnen Ihre Heimatstadt?
Metzler: Ja, das lässt sich an meiner Sprachfärbung nicht leugnen (lacht). Erstmal: Heimat ist mehr als Frankfurt, Heimat sind immer auch Menschen. Frankfurt ist, wie wir Frankfurter sagen, die kleinste Metropole der Welt. Viele Herausforderungen waren neu, und die fingen in Frankfurt an. In Frankfurt schlagen viele Probleme früher und massiver aus als in anderen Teilen der Diözese. Beispielsweise Drogenhandel, Kriminalität und bittere Armut, die in starkem Kontrast zu horrenden Mieten steht. Hier gibt die Kirche Antworten, hier werden Ansätze ausprobiert, wie Kirche darauf reagieren kann. Das kann auch für die übrigen Regionen des Bistums ein Gewinn sein.
Frankfurt ist so gesehen eine Lernchance. Ich erlebe, dass in Frankfurt gerade der Bereich Caritas bei den politisch Verantwortlichen hochgeschätzt ist. Auch die Diakonie. Die Ökumene ist in Frankfurt schon lange eine Selbstverständlichkeit.
Und es ist eine spannende Stadt und es ist nie langweilig.
FRAGE: Stichwort Langeweile, was Sie nicht kennen dürften. Wie werden Sie jetzt Ihren Ruhestand, ein Wort das so gar nicht zu Ihnen zu passen scheint, verbringen? Haben Sie Pläne?
Metzler: Nein, keine Pläne, aber ein kleines Vorhaben. Derzeit benutze ich wenig öffentliche Verkehrsmittel. Aber wenn ich jetzt Zeit habe, will ich mit allen Frankfurter Straßenbahnen einmal von einer Endstation zur anderen fahren. Und natürlich bleibe ich auch im Ruhestand Seelsorger.
FRAGE: Und zum Schluss noch eine Frage, die hier im Verband einige interessiert: Es geht um das Geheimrezept für Ihre Gelassenheit.
Metzler (lächelt): Wirke ich so gelassen? Innerlich bin ich gar nicht immer so gelassen. Aber ich habe eine innere Sicherheit aus dem Glauben. Es geht auch hier wieder um eine Grundhaltung. Es gibt mir eine innere Sicherheit zu wissen, dass ich tue, was ich kann, aber dass es im Letzten nicht auf mich ankommt, sondern auf einen Anderen.
(fl)